Druidentum im Alltag

Eines vorweg: Ich hasse es, Tagebuch führen zu müssen. Täglich aufzuschreiben, was man wann wie wo und warum gemacht hat – es ist einfach nicht mein Ding. Und so war auch eines der größten Probleme am Anfang meines Dedikantenpfads die Aufgabe, über mehrere Monate hinweg meine spirituelle Entwicklung dokumentieren zu müssen. Glücklicherweise liegt diese Zeit inzwischen lange hinter mir… Geblieben sind ein paar Routinen, und ein paar neue sind hinzugekommen.

Als Mutter von 2 Kindern und selbstständige Therapeutin bleibt mir im Alltag nicht so wahnsinnig viel Zeit für ausgiebige Rituale. Entweder fordert der Haushalt meine Aufmerksamkeit, meine Familie sehnt sich nach mir oder irgendetwas Berufliches muss noch dringend erledigt werden. Also war mir von Anfang an wichtig: Was auch immer ich tue, es darf nicht viel zusätzliche Zeit kosten.

Außerdem ist da das Problem der Multireligiosität oder besser gesagt, der Abwesenheit von Religiosität in meiner kleinen Familie. Religion, Glaube, Kultausübung, wie auch immer man es nennen mag, ist vornehmlich mein persönliches Ding. Die übrigen Familienmitglieder nehmen es zur Kenntnis und gehen ihren eigenen Interessen nach. Ein gemeinsamer Hauskult oder Familienrituale waren damit ausgeschlossen.

Was also tun? Zunächst mal habe ich mir eine Ritualtasche zusammengestellt. Ein Haus mit Garten bedeutete für mich eine Möglichkeit, meine Rituale draußen weitgehend ungestört abhalten zu können. Allerdings dauerte es eine ganze Weile, bis aus einem mobilen Ritualset, das spontan an einem Tischchen hinten im Garten ausgepackt werden konnte, ein fester Nemeton mit Votivtafel für Mutter Erde, einem kleinen gemauerten Schrein für ein paar Götterfiguren, einem Ahnenbaum und einem Altartischchen wurde. Die Ritualtasche besteht nach wie vor, denn unsere tierischen Nachbarn erwiesen sich als recht begabt darin, die Plastiktruhe zu öffnen, die ich im Nemeton deponiert hatte, und sich über meine dort gelagerten Ritualvorräte herzumachen. Da ich meine Zweifel hatte, ob so viel Kerzenwachs gut für Vogelbäuche wäre, kamen die Vorräte also zurück in die Tasche und werden getreulich jedesmal bei Bedarf nach draußen geschleppt. Nur eine Laterne, die die Flamme vor Wind schützt, das Räuchergefäß, eine Zange und ein Handkehrer liegen dort dauerhaft bereit.

Und ein Ritual mit voller Ritualgrundstruktur halte ich seit Beginn mit wenigen Ausnahmen an jedem Wochenende ab. Diese eine halbe bis volle Stunde gönne ich mir. Manchmal gerät das Ganze etwas aufwändiger, manchmal ist es eher minimalistisch, aber ich merke, dass ich unruhig werde, wenn es Sonntagnachmittag wird und ich noch nicht hinten war.

Eine morgendliche Meditation, geschweige denn ein Devotional, das ist im morgendlichen Alltagsstress einfach nicht drin. Aber jeden Morgen starte ich mich demselben Spruch, wenn ich mir im Badezimmer das Gesicht wasche: „Lasst mich diesen Tag leben mit dem Segen der Götter, mit dem Rückhalt der Ahnen und unter dem Schutz der Naturgeister. Lasst mich leben nach eurem Rat und meinem Willen.“ Damit gehe ich hinaus in den Tag.

Seit einigen Monaten ist etwas Neues morgens hinzugekommen. Mein großer Sohn fährt mit dem Fahrrad zur Schule. Er hatte immer schon etwas Verträumtes, Unaufmerksames an sich, und erforderte mehr Fürsorge meinerseits. Inzwischen wissen wir, dass es eine medizinische Ursache hat. Während des letzten Jahres hatte er sehr viel Distanzunterricht, aber seit er wieder zur Schule fährt, bitte ich morgens die Kindred darum, dass sie ein Auge auf ihn haben, wenn er meinen Einflussbereich verlässt. Dafür teile ich dann meinen Cappuccino mit ihnen. Meine katholische Mutter hat uns früher manchmal ein Kreuzchen auf die Stirn gemalt, bevor wir zur Schule fuhren, vielleicht haben wir da dann ein paar Gemeinsamkeiten.

Auf meinem Indoor-Schrein (den habe ich inzwischen, in einem Flur zwischen Küche und Wohnzimmer, wo er nicht stört, aber ich täglich mehrfach dran vorbeikomme) platziere ich gerne Gebetskarten mit meist selbstgeschriebenen Texten zu wechselnden Anlässen, oft mit einem brennenden Kerzchen oder einer LED-Kerze. Das kann eine Bitte um Hilfe für jemanden sein, eine Danke für eine besondere Sache, oder ein Devotional anlässlich eines Feiertags. So integriere ich schnell kurze Momente der Andacht in den Alltag. Die Gebetskarten findet ihr natürlich auch hier im Blog, zumindest die meisten davon.

Und auch draußen bieten sich immer wieder kleine Momente, die Umgebung bewusst wahrzunehmen, schöne Anblicke zu genießen und solche Augenblicke in sich aufzusaugen: einen Blühstreifen am Feldrand, einen besonders spektakulären Sonnenuntergang, ein kurios geformter Baum…

Ein weiterer Aspekt, den ich in den Alltag zu integrieren versuche, sind ADFs Tugenden. Das Bedürfnis, regelmäßig Rituale abzuhalten, ist sicher ein Teil davon (nämlich Pietas, ein Begriff, mit dem ich mich sonst eher schwer tue). Aber durch die Auseinandersetzung damit erlebe ich meine Umwelt auch bewusster. Umweltschutz und Klimaschutz sind ein Bereich, aber auch ein besseres Wissen um die Pflanzen und Tiere um mich herum. Zu wissen, dass er Baum ganz hinten eine Golderle ist und nicht ein weiterer verflixter Ahorn (Ahorn haben wir reichlich ;)) und die Bachstelze im Vorbeifahren als solche zu erkennen oder den Eichelhäher, der sich auf der Straße ein Wer-macht-wem-Platz-Duell mit mir geleistet hat. Gartenpflege gehört dazu, aber auch die Pflege der eigenen Gesundheit. Da man mich jahrzehntelang als völlig unsportliches Wesen abgestempelt hat, hatte ich kein besonderes Interesse daran, irgendeine Sportart regelmäßig auszuüben. Dass mir das in den letzten Monaten gelungen ist, darauf bin ich ganz schön stolz. Zu den Yogaeinheiten gehört immer auch eine Schlussentspannung. Meistens dauert sie nur 1-2 Minuten, aber das reicht ja auch. Wenn ich da so rumliege, versuche ich die “Zwei Kräfte-Meditation” des ADF damit zu kombinieren: Beim Eintatmen ziehe ich das Wasser aus der Tiefe nach oben, beim Ausatmen ziehe ich das Licht des Himmels herunter, bis sich beide in mir mischen. Wenn ich das ausnahmsweise im Stehen mache, nutze ich auch Handbewegungen dazu, die ich an den Atem kopple.

Integrität gehört ebenfalls dazu: Was ist mir wichtig, wofür möchte ich stehen? Da wird man zwangsläufig auch politisch aktiv.

Eine weitere Tugend ist die Schaffenskraft: Und ich mag zwar eher unsportlich sein, aber ich bin gerne kreativ. Da trifft es sich gut, dass mir Unser eigenes Druidentum viele Möglichkeiten bietet, dies auszuleben. Eigene Lieder und Gebete zu schreiben, meine eigenen Götterfiguren aus selbsttrocknendem Ton herzustellen oder auf Stein zu malen, anlässlich der Hochfeste etwas Passendes zu backen oder zu basteln -all das hilft mir mich mehr mit den Kindred auseinanderzusetzen, meine Verbindung zu vertiefen oder auch erst mal eine zu schaffen.

In einem Jahr habe ich für jede Woche ein Gebet zu einer anderen Gottheit geschrieben (und genutzt). Manche davon waren sozusagen Stammgäste, aber mit anderen hatte ich bislang nie zu tun. Da in Unserem eigenen Druidentum (das ist die wörtliche Übersetzung von ADF) alle Pantheone des indo-europäischen Spektrums verehrt werden, ist das Angebot sehr groß. In der Regel entscheidet man sich für ein Pantheon, in meinem Fall 2, mit dem man regelmäßig arbeitet. Ist man Teil einer Gruppe, kann es auch sein, dass bei Gruppenritualen andere Götter verehrt werden als privat. Im Gegensatz zu den meisten meiner Mitdruiden bin ich nicht so extrem auf die Individualität der einzelnen Gottheiten versessen, sondern sehe sie mehr als abstrakte Repräsentationen. Da ich ja meist allein unterwegs bin und nicht an einen Hain angeschlossen, ist das auch kein Problem. ADF mag eine Religion sein und als solche ihre Dogmen haben, aber seit der Gründung ist das für mein Gefühl deutlich entspannter geworden.

Um so ein Gebet schreiben zu können, muss ich mich natürlich vorher ausgiebig mit der jeweiligen Gottheit beschäftigen: Welche Beinamen hat sie, welche Symbole, welche Attribute, welche Geschichten/Mythen gibt es zu dieser Gottheit, was bringt man mit ihr in Verbindung, in welcher Form könnte sie für mich eine Bedeutung haben, unter welchen Aspekten kann und möchte ich mir ihr annähern? In manchen Fällen hat mir das ganz neue Welten eröffnet -Sigyn, Hekate, Svarog, Mannanan hatte ich vorher nicht so wirklich auf dem Schirm- und andere Gottheiten sind mir weiter fremd geblieben – Poseidon oder die Morrighan zum Beispiel. Einige von diesen 52 sind mir treu geblieben (oder ich ihnen).

Wenn man sich dazu entscheidet, den Dedikantenpfad zu gehen, dann ist einer der ersten Schritte, dass man ein Pantheon wählt, mit dem man sich zu diesem Zweck auseinandersetzen möchte. Ich hatte zuvor keine speziellen Götter, mit denen ich gearbeitet habe und hatte somit die Qual der Wahl. Letztlich habe ich mich für einen Mix aus nordisch-germanischem und gallischem Pantheon entschieden, da diese in der Region, in der ich lebe, beide angebetet wurden. Bei manchen der uns heute bekannten Gottheiten hier ist nicht mal sicher, ob sie nun germanisch oder gallisch waren. Insofern finde ich den Mix ganz passend. Andere orientieren sich eher irisch-keltisch, aber es gibt auch Druiden in Unserem eigenen Druidentum, die römisch, slawisch, vedisch oder hellenistisch orientiert sind.

Spannend finde ich persönlich es, auf den Spuren jener alten Götter zu wandeln und sie hier in der Umgebung wiederzuentdecken. Ob Nehalennia, die im niederländischen Cuijk ganz in der Nähe einen Tempel hatte, oder die Matronen, von deren Tempel noch ein paar Reste in Xanten stehen (hinter einem Bauzaun außerhalb des APX), der Hinweis darauf, dass es Matronae Nersihennae gegeben hat, Matronen mit Bezug zum Fluss Niers, der direkt hinterm Haus vorbeifließt, oder den Mars Camulus Stein, der als Altar in einer katholischen Kirche in Rindern steht….

Mein privates Projekt auf längere Zeit gesehen ist es, Steine mit lokalen Gottheiten zu bemalen und an verschiedenen passenden Stellen in der nähere Umgebung zu platzieren, ähnlich wie die vielen Wegkreuze und Marienschreine hier an Häusern und Straßen, nur etwas unauffälliger.

Jetzt könnte man denken: Sie ist allein, ohne eine Gruppe, das muss doch ziemlich einsam sein. Ist es auch manchmal, klar. Aber zum Einen ist es auch von Vorteil, weil man dabei sehr flexibel in seiner Planung ist, und so allein bin ich ja gar nicht. Nur physisch. Denn meine Rituale laufen nach den gleichen Strukturen ab wie die der anderen ADF-Mitglieder, und wir feiern zu denselben Anlässen. Wir sprechen dabei gerne von einem Baum, der viele Äste hat, die durch denselben Stamm miteinander verbunden sind, oder von vielen Herdfeuern, die eine gemeinsame Flamme bilden. Online bin ich gut eingebunden in einer Gemeinschaft, über Social Media Gruppen, E-Mail-Listen oder gemeinschaftliche Projekte wie gemeinsame Ritualvideos, zu denen viele Leute einen Teil beitragen.

Ohnehin macht diese Freiheit für mich einen großen Teil des Reizes des Heidentums allgemein aus. Ich stehe ständig vor der Herausforderung, herauszufinden, was meine Haltung zu allen möglichen Themen ist. Ohne ein vorgegebenes Dogma bleibt mir nichts anderes übrig. Dadurch entstehen natürlich riesige Unterschiede zwischen den Standpunkten der verschiedenen Heiden. Steckt man 5 Heiden in einen Raum, wird man 5 verschiedene Standpunkte bekommen. Das ist auch in unserem Druidentum nicht viel anders. Die Schnittmengen sind allerdings etwas größer. Hier haben wir aber wieder eine Verbindung zu den Tugenden und der Frage nach den eigenen Werten. Es gibt übrigens durchaus heidnische Gruppierungen, die ihren Mitgliedern wesentlich konkretere Rahmen setzen, was sie wie zu tun haben. Das wäre ja mal so gar nichts für mich.

Einige wenige Rituale habe ich übrigens doch mit meiner Familie gefeiert: Für Mittwinter haben wir uns beispielsweise ein paar Elemente zusammengestellt, die jedes Jahr wiederkehren. Da ist der Adventskranz, der rückwärts abbrennt (4 Kerzen zu Beginn, und jede Woche wird es eine weniger, bis der Kranz dunkel ist und an Mittwinter dann wieder komplett angezündet wird), und eine Kerzenjagd durchs dunkle Haus, bei der Kerzen in jedem Zimmer angezündet werden – Teelichter in großen Gläsern, damit nichts passieren kann.

Auf meinem Indoor Schrein brennt gleichzeitig ein Set von Futhark-Kerzen, eine andere Variante des Adventskranzes. Wer mehr darüber wissen will, der google bitte nach dem Begriff „Väntljustaken“. Die gallische Variante mit einem 21-teiligen Kerzenset ist bislang nur auf Englisch verfügbar – ich habe sie mir selbst übersetzt und auch angewendet, komme aber mit den Futhark-Kerzen persönlich besser zurecht.

Ich empfinde des Druidentum für mich als eine Bereicherung für mein Leben und meinen Alltag.

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