Beten! Och nee, das klingt aber sehr christlich. Davon wollte ich eigentlich doch wegkommen. So oder ähnlich wird jetzt vielleicht der eine oder andere Leser denken. Aber so ein Gespräch mit den Kindred kann auf verschiedene Art und Weise stattfinden. Je nach Situation, Ort, Anlass und Person gibt es viele Möglichkeiten, den Kontakt mit ihnen zu suchen.
Beten durch Worte
Das ist sicherlich das, woran die meisten als Erstes denken, wenn man sie fragt, wie man betet. Und ja, die richtigen Worte zu finden, kann eine große Wirkung haben, vielleicht nicht auf die angesprochene Gottheit, aber auf alle Fälle, auf den, der sie spricht. Dabei kann man unterscheiden zwischen dem Stoßgebet, das aus einem plötzlichen Impuls oder Bedürfnis heraus gesprochen wird, dem frei formulierten Gebet und dem fest formulierten, ausgefeilten, auswendig gelernten Text.
„Bitte mach, dass ich den Zug noch erwische!“ oder „Gott sei Dank ist das gut gegangen!“, etwas in der Art hat wohl jeder schon mal von sich gegeben, unabhängig davon, wer der oder die geheimnisvolle Angesprochene wohl sein könnte. Solche Stoßgebete sind die unmittelbare und ursprünglichste, basale Form eines Gebets.
Ein frei formuliertes Gebet hingegen hat durchaus einen vorhersehbaren Anlass und muss nicht spontan sein. Im Vergleich zu dem Stoßgebet ist es meist etwas länger. Ein solches Gebet hat oft etwas intimes, ist eine Art Zwiegespräch mit der angesprochenen Gottheit. Man lässt seinen Gedanken freien Lauf. Gerne wird argumentiert, dass dies im Vergleich zu vorformulierten Gebeten die bessere Form eines Gebets ist, da die Worte persönlich sind und von Herzen kommen.
Ein vorformuliertes Gebet, vielleicht sogar eines, das vielen Menschen bekannt ist und regelmäßig gesprochen wird, hingegen hat den Ruf, schnell zu einer Worthülse zu werden, einer leeren Phrase, die ohne nur daher gesagt wird. Oder es klingt gestelzt und unnatürlich. Gleichzeitig hat ein solches Gebet ein unheimliches Potential, wenn es von einer großen Gruppe gemeinsam gesprochen wird. Und es kann einen schnellen Zugang ermöglichen: Je öfter dieses Gebet gesprochen wird, desto breiter und besser ausgebaut ist die Verbindung, die damit geschaffen wird.
Meines Erachtens gibt es für alle diese mündlichen Gebete einen Ort und eine Zeit. Wer in einer akuten Notsituation ist, wird nicht Zeit haben, einen sorgfältig formulierten 20-zeiligen Reim aufzusagen. Wer sich in einem Ritual an eine Gottheit wendet, um ihr zu sagen, was für ein toller Typ sie ist und warum man sie angerufen hat, wird sich hingegen selten mit einem kurzen Satz begnügen. In einem privaten Ritual am eigenen Hausschrein sind persönlich formulierte Worte sicherlich angebracht. Wer ein Ritual für eine große Gruppe abhält, wird sich aber eher vorher schon Gedanken gemacht haben, was er wie sagen will. Und wer viele Leute wenigstens ein bisschen aktiv beteiligen will, der ist gut beraten, auf bekannte Texte zurückzugreifen.
Beten durch Gesten und Haltung
Nun sind Worte aber nicht das Nonplusultra. Wir leben in einer Gesellschaft, die daran gewöhnt ist, Gebete zu sprechen. In anderen Kulturen ist es hingegen durchaus gebräuchlich, mit dem ganzen Körper und durch Gesten zu beten. Vor vielen Jahren hatte ich die Möglichkeit, eine Gruppe indischer Nonnen zu sehen, wie sie ein Gleichnis aus der Bibel tanzten. Jede Bewegung, jede kleine Geste hatte dabei eine eigene Bedeutung, die sich demjenigen, der damit vertraut war, erschloss. Wer sich mit Gebärdensprache auskennt, kann das sich nachvollziehen. Tatsächlich war die sogenannte Orantenhaltung, bei der man die Arme ausbreitet und die Hände dem Himmel entgegenstreckt, über lange Zeit eine sehr verbreitete Gebetshaltung. Heutzutage sieht man sie vor allem bei Priestern in der christlichen Kirche (und bei Neuheiden natürlich), aber es gibt beispielsweise Funde von slawischer Töpferware, auf der Menschen in dieser Haltung abgebildet sind. Diese Haltung drückt die Zuwendung zum Himmel und damit dem Göttlichen aus, und so wird sie auch im heidnischen Bereich wahrgenommen: Ich trete in Kontakt zu den göttlichen Wesen.
Wesentlich bekannter sind die gefalteten Hände. Sie stammen vermutlich aus dem germanischen Raum. Diese Geste hat im Gegensatz zu der im Stehen verwendeten selbstbewussten Orantenhaltung mehr etwas mit Unterwerfung und Abhängigkeit zu tun: Wer früher seinem Fürsten seine aneinander gelegten Hände in dessen legte, der verpflichtete sich diesem. (https://www.erzdioezese-wien.at/site/glaubenfeiern/spirituelles/beten/article/65828.html, Stefan Kronthaler) Diese Geste wurde als Ausdruck der inneren Haltung zu Gott auf den spirituellen Bereich übertragen: „In deine Hände lege ich meinen Geist.“ Viel später, im Zuge der Reformation, tauchten dann die verschränkten Finger beim Gebet auf.
Innerhalb der christlichen Kirchen gibt es noch die Hände, die zu einer Schale geformt werden: Sie findet man vor allem in Italien und bei der Kommunion. Die Schale deutet an: Ich bin ein offenes Gefäß, füll mich!
Außerdem findet man im orientalischen bzw. byzantinischen Bereich das Beten mit gekreuzten Händen. Hierdurch sollen Hingabe und Vertrauen angedeutet werden. Manchmal wird dieses Haltung auch als Osiris-Haltung bezeichnet, da der ägyptische Gott gelegentlich so abgebildet wird. (Beispiel: https://mythopedia.com/topics/osiris)
Und eine weitere Haltung kommt das dem ägyptischen Bereich: die Isis-Haltung. Bei der Isishaltung werden die Unterarme gerade vorgestreckt, mit der Handfläche nach oben. Derjenige, der diese Haltung einnimmt, erwartet, dass ihm etwas gegeben wird.
Wer einmal einen Kindergottesdienst mitgemacht hat, hat vielleicht erlebt, dass hier Lieder häufig mit Gesten unterstützt werden. Ob es der angedeutete Regenbogen am Himmel ist oder die Umarmung, die vermitteln soll, das man geliebt wird – für Kinder, und nicht nur für sie verstärken Gesten unmittelbar das Gesagte und Gesungene, sie machen es anfassbar. (https://www.kinderpastoral.de/fileadmin/5_lp/as42_lp_Kinderpastoral/Methoden/Inhalt_Bewegungen_zum_Gotteslob_Juni2016.pdf Monika Mehringer)
Manche Heiden nutzen die Pommesgabel, auch als Symbol für den Teufel bekannt, hier aber als Symbol für den gehörnten Gott, speziell Cernunnos. Besonders geeignet ist dies, wenn ebenjener Gott angerufen wird.
Aus dem Islam kennen wir die Haltung, die als Sadschda bezeichnet wird. Muslime nehmen sie während der Pflichtgebet ein. Dabei berühren 7 Körperstellen gleichzeitig den Boden (Kopf, beide Hände, beide Knie, beide Füße). In dieser Haltung soll der Gläubige seinem Gott Allah am nächsten sein. Ohne die korrekte Haltung ist das Gebet nicht gültig, es sein denn, man kann sie aus gesundheitlichen Gründen nicht einnehmen.
Eine letzte, etwas extreme Haltung ist die Prostration. Dabei legt sich der Betende mit dem Gesicht nach unten und ausgebreiteten Armen lang ausgestreckt auf den Boden. In der katholischen Kirche ist dies noch üblich, wenn zum Beispiel Diakone geweiht werden. Im Mittelalter war es durchaus gebräuchlich, dass sich auch Könige im Rahmen ihrer Inthronisierung durch hochgestellte Kirchenfürsten/Päpste in diese Haltung begaben, um zu zeigen, dass Gott noch wichtiger war als sie selbst.
Welche Gesten auch immer man benutzt: Es empfiehlt sich, dabei entschieden und eindeutig vorzugehen. Eine bewusst ausgeführte Geste setzt ein ganz anderes Signal als eine unschlüssig oder halbherzig ausgeführte Bewegung. Denke großräumig! Nutze den Raum um dich herum! Besonders in Gruppen kann eine Geste sonst schnell untergehen und verliert ihren Nutzen.
In manchen Fällen werden Gesten noch mit zusätzlichen Hilfsmitteln unterstützt, z.B. einem Stab bei Zeigegesten. Gerade bei größeren Gruppen kann eine Geste so noch besser gesehen werden. Manchen hilft es auch, wenn sich sich in ihrer Gestik noch unsicher sind. Andere nutzen so ein Hilfsmittel, weil sie denken Energie so gezielter bündeln zu können.
Übrigens ist Beten mit Gesten eine schöne Methode, um Inklusion zu betreiben. Immerhin gib es mit der Gebärdensprache eine Sprache, die fast vollständig auf Gesten und Mimik basiert. https://www.youtube.com/watch?v=JwLo1dvO2kQ&list=PLCN4v_tfF58lpsG5aAhlD5z3jux6boDqe&index=3
Tanzen als Gebet
Tanzen wird seit Jahrhunderten und -tausenden als eine Form des Gebets genutzt. Manche Tänze können dazu dienen, die Teilnehmer in eine Art Trance zu führen, andere dienen „nur“ dazu, eine Gemeinschaft aufzubauen. Ob man nun auf Höhlenzeichnungen von Menschen zurückgreift, auf Bibelgeschichten, in denen Menschen vor Gott tanzen, tanzende Feen oder auf Tänze aus anderen Kulturkreisen: Tanzen bringt Menschen und Götter näher zusammen.
Ein Beispiel für Tänze, die sich für Rituale eignen, sind die Reigentänze. Dabei handelt es sich um eine alte Tradition zu jahreszeitlichen Festen (was nicht dasselbe ist wie die modernen Jahreskreisfeste). Die Kreismitte wird dabei als göttliches Zentrum/Ursprungsort interpretiert. Dementsprechend tanzt man oft auch auf die Mitte zu und wieder hinaus. Eine besondere Variante hiervon sind die bretonischen Tänze: Sie stammen aus dem Mittelalter. Man fasst sich dabei an den Händen und folgt einem immer gleichen Schrittmuster, wobei die Hände teilweise mitgeschwungen werden. Die Tanzrichtung ist links im Sonnenverlauf, bei den meisten anderen Ländern hingegen rechts herum im Mondverlauf. Da manche von ihnen relativ simpel in der Schrittfolge sind, eigenen sie sich hervorragend dazu, sie mit größeren ungeübten Gruppen zu tanzen. (Bretonischer Tanz)
Aus dem Yoga kennen die meisten den Sonnengruß, Surya Namaskar, oder manche auch den Mondgruß, Chandra Namaskar. Dabei geht man durch eine Abfolge von Körperhaltungen, die den Lauf der Sonne bzw. des Mondes nachahmen. Auch dies könnte man als eine Tanzform beschreiben. (hier mal ein Video von einer Sonnengrußroutine: Klassischer Sonnengruß von Mady Morrison)
Prozessionen sind eine Tanzform, die den Teilnehmern nicht allzu viel Geschick abverlangen. Manchmal läuft es nur darauf hinaus, von A nach B zu laufen. Natürlich gibt es auch etwas komplexere Prozessionen, z.B. die Echternacher Springprozession oder Prozessionen, bei denen der Lauf an sich durch aufwändige Kostüme ergänzt wird. Als Gegensatz gibt es den einfachen Einmarsch in einen Ritualbereich mit Musikbegleitung, bei dem dieser einmal oder mehrmals umrundet wird, bis alle ihre Position gefunden haben.
Ein bekannter neopaganer Tanz ist der Spiral Dance, den Reclaiming jährlich zu Samhain veranstaltet, und das seit über 40 Jahren. Alle Teilnehmer fassen sich an den Händen und binden eine lange Schlange. Nun tanzt die ganze Formation spiralförmig auf die Mitte zu. Dort angekommen tanzt der Kopf der Schlange Auge in Auge mit den Hineintanzenden wieder hinaus. Jeder Spiral Dance steht unter einem Motto, was sich vielleicht in diesem Fall auch als Mantra bezeichnen ließe. Der Tanz wird von Gesang begleitet. Insgesamt ist es schon durch die Anzahl der Teilnehmer eine sehr beeindruckende Veranstaltung. Ich hätte euch gerne ein Video verlinkt, aber die Videos, die ich gefunden habe, dauern einfach zu lange.
Beim Tanzen im Gebet verbinden sich Körper, Geist und Seele. Wenn man tanzt, ist man sich seiner Position gegenüber der materiellen und immateriellen Welt deutlich bewusst. Die innere und äußere Bewegtheit treffen hier zusammen. Der gebetete Tanz kann die Beziehung zu den Göttern wecken, erhalten oder sogar stärken.
Maibaumtanz aus Süddeutschland
Beten durch Musik und Gesang
Ich bin mit Musik aufgewachsen. Mein erstes Musikinstrument habe ich im Kindergartenalter gelernt. Gemeinsames Singen war für mich immer ein zentraler Bestandteil meines Daseins. Klar, dass ich nahezu kein Ritual abhalte, ohne dabei wenigstens ein Lied zu singen. Musik als Kunstform ist ebenfalls eine Gabe, die man gut den Kindred geben kann. Ein Lied bleibt viel besser im Gedächtnis als eine einfache Erwähnung nebenbei. (Earth, my body, nicht druidisch, aber ein Klassiker)
Musik hat auch den Vorteil, dass sie hilft, eine Gruppe zu organisieren. Daher die Erfindung von Marschmusik als Taktgeber. Und selbst Leute, die nicht durchweg musikalisch sind, neigen dazu, bei einer gespielten Musik im Rhythmus mitzulaufen oder sich zu bewegen, sogar, wenn sie das Lied nicht leiden können.
Musik drückt das aus, was man nicht in Worte fassen kann, und sie berührt einen da, wo Worte nicht hinkommen. Musik kann ganz basale Gefühle zum Klingen bringen: Freude, Trauer, Liebe… Sie kann eine heilende Wirkung haben. Sie kann Effekte steigern, Atmosphäre erzeugen, Erinnerungen wecken. Wie Tanzen kann Musik oder ein Lied dabei helfen, dass man tiefer in eine Gebetshaltung kommt.
Wer sich mit Zahlenmagie/Numerologie/Kabbala etc. beschäftigt, der kann die technisch-mathematischen Aspekte von Musik nutzen, um Musik für eine spezielle Gottheit zu schaffen. Das Ergebnis klingt nicht zwangsläufig hübsch, in dem Fall geht es eher um die Bedeutung hinter den Tonabfolgen. Übrigens haben viele bekannte Musiker diese Möglichkeit gerne genutzt. J.S. Bach hat seinen Nachnamen gelegentlich als Notenfolge in seine Werke eingebaut (B-A-C-H)
Beten durch Arbeit
Manchmal braucht es keine Worte. Gerade in orthopraktischen Religionen und Glaubensgemeinschaften zählt mehr das, was man tut, als das, was man sagt. Und so kann körperliche Arbeit, z.B. Gartenarbeit, Müll sammeln, Bäume pflanzen, Vögel zählen als Bestandsaufnahme … als Ausdruck bewusster Hingabe und ein Gebet angesehen werden, oder auch als eine Opfergabe. Aber natürlich bezieht sich das nicht nur auf den Umweltschutz und die Liebe zur Natur.
Als Heide lebt man im Austausch mit seiner Umwelt, und dazu gehören in ganz entscheidendem Maße die Menschen um einen herum. Daher ist es genau so ein Gebet, wenn man sich für seine Mitmenschen in irgendeiner Form engagiert, z.B. ehrenamtliche Tätigkeiten (Bürgerbus fahren, Trainer im Verein, Nachhilfe geben, bei der Tafel mitarbeiten, Repaircafé, morgens in der Schule Brote schmieren und den Kiosk betreiben, Blut spenden, …) oder auch mal an einer Demonstration für Demokratie, gegen Rechtsradikalismus etc. teilnehmen.
Entscheidend ist dabei, dass man sich bewusst dafür entscheidet, etwas als Gabe an die Kindred zu tun. Das ist der Aspekt, der es zum Gebet macht.
Stille als Gebet
Als Teenager machte ich Bekanntschaft mit den Rosa Schwestern der Societas Verbum Dei (SVD). Dieser Ableger eines Missionsordens geht nicht hinaus in die Welt, um zu missionieren. Im Gegenteil, wer ihnen beitritt, sieht von der Welt nicht mehr allzu viel. Dafür verbringt man den größten Teil seiner Zeit schweigend im Gebet für andere. Als Teenager fand ich es äußerst befremdlich, dass jemand sich freiwillig so isolieren konnte. 30 Jahre später habe ich ein wenig dazu gelernt. Nichts im Leben würde mich dazu kriegen, diesem Orden oder einem vergleichbaren beizutreten. (Rosa Schwestern)
Aber eine Meditation in Stille, ohne an etwas zu denken, ohne zu planen, dieses sich Öffnen für das, was kommt oder auch nicht, diese Bereitschaft zuzuhören, die kann ich als eine Form des Gebets inzwischen annehmen. In einer Zeit der Reizüberflutung ist Stille als Gebet vielleicht die größte Gabe, die man geben kann.